Abschiedspredigt am 08.10.2023 von Pfarrer Hermann Weiß
Liebe Gemeinde, Schwestern und Brüder,
So begann ich über die Jahre, Euch/Sie zu begrüßen. Damit ist Beziehung zum Ausdruck gekommen. Diese Beziehungen zu einzelnen und zur Gemeinschaft hat getragen und gehalten. Vergelts Gott für allen Halt und alles Ertragen und Tragen in der doch lange gewordenen Zeit. Habe erst dieser Tage bemerkt, dass die Beauftragung als Pfarrer hierher durch den damaligen Bischof Walter Kasper genau auf den 08. Oktober 1996 datiert ist. Aber was sind schon 27 Jahre?! Viel und wenig.
Ich bitte um Entschuldigung, wo ich selbst nicht Halt und Hilfe war, weil ich zu sehr mit mir selbst beschäftigt war und mit allem möglichen zweit und drittrangigem . Hätte so viel mehr tun können statt z.B. Fußball(VfB) im TV anzuschauen. Bitte, Gott, vergib mir. Vor 26 1/2 Jahren habe ich mit dem schönen Evangelium vom Weinstock und den Reben begonnen. Es sagt mir immer viel. Pastor Peter Wittenzellner von der methodistischen Gemeinde hat mir zur Investitur damals einen Rebstock geschenkt und wir hatten ihn an die Sonnenseite der Garage eingepflanzt. Er hat jahrelang nicht recht gezogen, aber ist jetzt die letzten Jahre übermäßig fruchtbar geworden.
Ja, es geht um die Fruchtbarkeit, um Wachsen und Reifen der Reben und um guten Wein statt sauren Reben.
Als ich bemerkte, welche Lesungen und Evangelium am heutigen 27. Sonntag im Jahreskreis dran sind, wollte ich sie nicht auf die Seite schieben, sondern will sie als Wort Gottes für diesen Abschied wahrnehmen. Der Prophet Jesaja und der Prophet Jesus selbst stellen die Verantwortlichen des Volkes Gottes in Frage.
Mir kommt dabei immer das Bild von Lukas Cranach in den Sinn, das in der evangelischen Kirche von Wittenberg hängt: Da ist auf der einen Seite dargestellt wie der katholische Teil des Weinbergs total verwüstet ist und auf der anderen Seite der evangelische wunderbar gepflegt erscheint und offenbar gute Früchte zeitigt. Der Weingarten ist tatsächlich kein katholischer und kein evangelischer, sondern – wenn überhaupt- des Herrn und die verfassten Kirchen ein lästiges Vehikel – im wahrsten Sinn lästig - für den Herrn des Weingartens. Sein Sohn, der am Kreuz sich für uns alle hingegeben hat, ist unser aller Hoffnung durch seine Auferstehung. Der Apostel Paulus ist im kleinen Abschnitt des Philipperbriefes unverdächtiger Zeuge für diese frohe Botschaft: „Macht euch keine Sorgen, sondern bringt sie in jeder Lage flehend mit Dank vor Gott. Und der Friede Gottes, der alle Vernunft übersteigt, wird eure Herzen und eure Gedanken in der Gemeinschaft mit Jesus Christus bewahren“. Ja, das ist unsere Hoffnung – für mich persönlich als Abschied nehmender Pfarrer, für die Gemeinschaft der Christen, für unsere Gesellschaft und für die Menschheit überhaupt. Er ist der Herr des Lebens, der Schöpfer und Erlöser, der Erhalter und Erbarmer. Gott sei Dank.
Und es macht Sinn, wenn wir uns an der Botschaft der Propheten und Jesu erinnern und uns daran orientieren, auch wenn sie manchmal so utopisch erscheint wie in der Bergpredigt: Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer und ein gebrochenes und zerschlagenes Herz wirst du nicht verschmähen. Durch die barmherzige Liebe wird uns besuchen das aufstrahlende Licht aus der Höhe.
Ja, das ist meine Hoffnung: das Erbarmen, die Barmherzigkeit Gotte. Sie ist das große Geschenk des Schöpfers, der uns das Leben eingehaucht hat.
Das ist das Geschenk des Erlösers, der uns von Sünde und Schuld befreit hat und des Heiligens Geistes, der uns bewegt zu dem, was Paulus dann sagt: „Was immer wahrhaft, edel, recht, was lauter, liebeswert ist, darauf seid bedacht. Und der Friede Gottes wird mit euch sein.“
Mir kamen diese Gedanken am Tag der deutschen Einheit…ein Tag, an dem wir nicht genug danken können, dass dieses Wunderbare geschah nach den Demonstrationen mit den Kerzen in der Hand, dass kein Blutvergießen passierte – ein weltpolitisches Ereignis, das für Zusammenhalt, für das Geschenk der Freiheit steht und für den Kampf der Völker um Demokratie.
Mich bewegen diese wunderbaren Ereignisse seitdem in der Frage: wozu ist die Kirche da? Es geht nicht um Äußeres, um Brand -und Sündopfer, wie es noch die Propheten erlebten. Übertragen auf uns heute: Es geht nicht zuerst um äußerlich schöne und geordnete Kirchen und Gottesdienste, sondern um Barmherzigkeit und das Leben der Menschen in Not und Bedrängnis, um Frieden für die Seelen und soziale Gerechtigkeit, um den Erhalt der Schöpfung und eine friedvolle Zukunft, anders ausgedrückt: um den fruchtbaren Weinberg des Herrn. Dazu dienen die gepflegten Kirchen und Gemeindehäuser, die spirituell gestalteten musikalisch hochwertigen Gottesdienste und auch entsprechend vorbereitete Predigten.
Diese sollen helfen, gerade wenn Kriege ausbrechen, wenn es wenig Versöhnung gibt und wir trauern um sinnlose Toten. Ich bin froh, dass es einen AK Frieden gibt in Metzingen und einen AK Asyl. Ich bin froh, dass es Caritas, Diakonie und das Haus Matizzo gibt, aber auch Rathäuser, in denen welche Verantwortung tragen satt nur zu schimpfen. Ich bin froh, dass es das Maultaschenessen der Kolpingsfamilie gibt und andere Initiativen, in denen ehrenamtliches Tun Gutes bewirkt. Mag vieles klein erscheinen angesichts der großen Nöte in der Welt. Aber es ist wertvoll und wichtig.
Dem guten Papst Johannes XXIII., 2. Patron unserer Kirche in Riederich, wird ein Dekalog der Gelassenheit zugeschrieben, der so beginnt: „Nur für heute werde ich mich bemühen, den Tag zu erleben, ohne das Problem meines Lebens auf einmal lösen zu wollen. Nur für heute werde ich in der Gewissheit leben, dass ich geschaffen bin, glücklich zu sein , nicht nur in der anderen Welt, sondern auch schon in dieser. Und von Johannes Bosco, dem 1. Patron der Riedericher Kirche heißt es: „Halte dich an Gott. Mach es wie der Vogel, der nicht aufhört zu singen, auch wenn der Ast bricht. Denn er weiß, dass er Flügel hat. Ich kann nicht tiefer fallen als in Gottes Hand“. Wunderbar, wenn das auch – wenigstens manchmal – von uns Menschen gilt. Vergelts Gott. Amen.